Was war das eigentlich für ein Pazifismus, der von einem Tag auf den anderen umspringt und – man kann es kaum anders sagen – zum Bellizismus wird. Diesen erstaunlichen Wandel haben viele vollzogen, auch ich. Die meisten sträuben sich noch dagegen, Bellizisten genannt zu werden oder gar sich selbst so zu nennen. Dazu ist der Begriff bislang wohl zu stark damit behaftet, bewusst einen Krieg herbei führen zu wollen, ihn von vornherein als Mittel der Politik zu akzeptieren. Der Bellizismus, der jetzt bei vielen zum Ausdruck kommt, will das natürlich in keinem Fall, aber er will, so einfach muss ich es sagen, Wehrhaftigkeit und das nicht nur als Potenz sondern ohne Zaudern als Aktion, wenn es denn sein muss. Vielleicht darf man noch sagen, dass dieses Wenn-es-denn-sein-muss mit einem niedrigeren Schwellenwert versehen wird, als es noch vor nicht allzu langer Zeit der Fall gewesen wäre.
Um es konkreter zu machen: hat man vielleicht noch zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine gedacht, die Ukrainer schaffen es vielleicht ohne unsere Waffen, wir genießen noch unseren Pazifismus, suhlen uns noch darin. Damit meine ich jetzt nicht die Friedensbewegten, die der Ukraine sofort vorschlugen, die Waffen zu strecken, da sie ohnehin keine Chance hätten und so wenigstens ihr Leben (eventuell) retten würden. Das waren und sind auch heute noch die wahren, unbeugsamen Pazifisten.
Dann ging der Schwellenwert immer weiter runter: Helme, leichte Waffen, etwas schwerere Waffen, Schützenpanzer und nun – vielleicht fällt heute während der Konferenz in Davos oder am Freitag beim NATO-Treffen die Entscheidung – Kampfpanzer in nennenswerter Stückzahl (oder doch erst nur eine symbolische Menge?). Was wäre, wenn es diese stufenweise Schwellwertabsenkung nicht gegeben hätte und man hätte vom ersten Tag an geliefert, was nur irgendwie ginge und militärisch sinnvoll wäre, hätte vom ersten Tag mit der Ausbildung der Ukrainer in Westeuropa begonnen, hätte alles Material bereit gemacht, um es zu einem sinnvollen Zeitpunkt sofort liefern zu können, hätten nicht nur gesagt, dass wir die Ukraine mit allem Nötigen unterstützen würden sondern auch danach gehandelt, ja wenn?
Der Krieg, glaube ich, wäre schon beendet oder wäre schon zum Stillstand gekommen. Wenn wir diesen Bellizismus gefolgt wären, es wäre wirklicher Pazifismus gewesen, es wäre weniger zerstört worden und es wäre weniger gestorben worden, auch auf russischer Seite. Und es gäbe die Chance, dass es in überschaubaren Zeiträumen wieder zu einer Versöhnung kommen würde, jetzt wird dies Generationen dauern. Eine Schnellversöhnung, wie es sie mit Deutschland nach Weltkrieg 2 gegeben hat, war im wesentlichen dem Kalten Krieg geschuldet und nicht den großen Herzen unserer Feinde und der deutschen Schuldeinsicht, die in Wirklichkeit Jahrzehnte hat auf sich warten lassen.