Tagebuch

für mich und wenige andere

Kriegsrhetorik

Ziemlich irritiert war ich vor einigen Tagen, als in der Tagesschau der Satz fiel, dass sich Europa im Krieg befinde. Als etwa einen Tag später unser neuer Verteidigungsminister eine ganz ähnliche Formulierung gebrauchte, sie dann zwar schnell wieder zurückzog (vielleicht verzeihlicher Fehler im Anfangsstress), wurde ich zunehmend irritierter. Das ist natürlich nicht nur mir aufgefallen, auf Twitter schlug Ralf Stegner Alarm:

Vielleicht regt das ja jemanden zum Nachdenken an?! Erst eskaliert die Rhetorik und dann? Merkt ihr was? Debatte in Deutschland: Reden vom Krieg.

Ja, ich mag diese Verschiebung in der Rhetorik auch nicht (neuerdings redet man immer vom Wording, ob das beim Verstehen hilft, weiß ich nicht so recht), aber was drückt jetzt Stegner aus. Vermutet er das bewusste, langsame Einstimmen des dummen Volkes auf eine neue Eskalationsstufe, in der wir vielleicht schon drin sind, es nur noch nicht sagen? Oder meint er, dass wir nur mit unseren mehr oder weniger ungeschickten Sätzen, den Krieg ins Land holen können. So wie Wagenknecht es wenige Tage vor dem Kriegsausbruch formulierte, dass wir ja den Krieg regelrecht herbeiredeten (dieser Satz damals hat mich weitaus stärker fassungslos gemacht als die spätere Bundestagsrede „vom beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland“. Bei letzterem geht es nur um Begrifflichkeiten, ob unsere äußerst harten Sanktionen gegen Russland als Krieg bezeichnet werden können oder dürfen, bei ersteren um einen unglaublich dummen Satz.)

Das Herbeirreden von Kriegen lässt sich, glaube ich, historisch nicht belegen, dennoch darf uns durchaus unheimlich werden, wenn wir die Möglichkeit eines Krieges – bei uns! – wieder in unserem Denken zulassen. Aber es uns selbst zu verbieten, es zu tabuisieren, hat uns schließlich in die Situation gebracht, wie das Kaninchen auf die Cobra putineska zu starren. Nun aber, wie Stegner zu unterstellen scheint– ja, scheint, ich bin da vorsichtig –, dass hier durch absichtsvolles Verschieben im Sprachgebrauch durch gewisse politische Kreise zu mindestens Kriegswilligkeit im deutschen Volk erzeugt werden soll. Das lässt schon an krude Verschwörungsmythen denken.

Wir sollten keinen Augenblick vergessen, dass unser Reden zwar aus tausend Gründen immer achtsam sein sollte, aber ob Krieg oder Frieden bei uns herrschen wird, bestimmt allein Russland. Russland! Nicht Putin!