Tagebuch

für mich und wenige andere

Frieden (1)

Wenn ich über Frieden in diesem barbarischen Konflikt nachdenke, ist dies gewiss angemessener als über die Möglichkeiten von diesen oder jenen Waffensystemen, von diesen oder jenen taktischen oder strategischen Kampfhandlungen zur Erlangung von Vorteilen zu spekulieren. Über die möglichen Wege zum Frieden nachzudenken, bedeutet für mich, ein kritisches Rüstzeug zur arbeiten, dass mir hilft, das politische Handeln realistisch, das heißt, illusionsfrei bewerten zu können. Konkret bedeutet es, sagen zu können: diese oder jene Aktion ist eine Seifenblase, diese oder jene Aktion könnte einen Schritt weiterführen, ja, vielleicht sogar zum Erfolg.

Zu Beginn des Krieges war ich noch nicht in der Lage, mich an die Logik des Geschehens heranzutasten. Ich konsumierte Nachrichten und versuchte, die Kommentare und unzähligen Talkshows einzuordnen. Das ging vermutlich den meisten so, die sich mit dem Geschehen intensiver auseinandergesetzt haben. Zunehmend merke ich, dass man zu einer eigenen (aber was ist das schon? eigenen?) Beurteilung der politischen Abläufe kommen muss, um nicht wie ein Strohhalm im Winde von einer Seite zur anderen getrieben zu werden. Zu den Glücklichen gehöre ich leider nicht, die von vornherein, wissen wie es lang geht.

Eines war jedenfalls von Anbeginn klar: wer ist der böse. Das putinsche Russland ist es. Ist deshalb automatisch die Ukraine gut? Gewiss nicht. Ist der ukrainische Präsident automatisch der edle Ritter ohne Furcht und Tadel? Natürlich nicht. Das daraus nun einige den Schluss ziehen, die Ukraine ist es nicht wert verteidigt zu werden, ist verheerend. Verheerend in erster Linie für die Ukraine aber noch verheerender für uns. Denn es spielt überhaupt keine Rolle, wie mies oder wie edel die ukrainische Demokratie ist, wie korrupt die Verwaltung und wie machtgierig die Oligarchen sind, für uns ist nur wichtig, dass ein souveräner Staat grundlos angegriffen wird und das auch noch mit der erklärten Absicht, seine Souveränität auszulöschen. Dabei spielt es keine Rolle, wie reif die ukrainische Demokratie war und ist, auch eine Diktatur müsste man eigentlich in einer solchen Situation verteidigen. Warum? Sehr einfach, wer einen souveränen Staat auslöschen will, findet auch Gründe meinen souveränen Staat auszulöschen. Irgendwie werde ich dabei an dem bekannten Jesus-Spruch erinnert: was du dem Geringsten meiner Brüder antust, das tust du auch mir an.

Ich weiß, dass jetzt sofort der Whataboutism losgeht: was ist mit Irak, Afghanistan, Vietnam? (Ach so, man darf auch gerne noch Deutschland anhängen, vor 80 Jahren) Ich sage, diese geschichtliche Aufarbeitung spielt jetzt keine Rolle für das Nachdenken über das Ende dieses Krieges. Ganz gewiss mache ich mir darüber noch Gedanken, aber an einem anderen Tag.

Was ich sagen will: es gibt keine Rechtfertigung, die Ukraine nicht zu unterstützen, denn es geht um uns, wir sind die Angegriffenen. Auf dieser Basis müssen wir nun über Frieden nachdenken, denn zur Zeit sterben nur die Ukrainer und ihre freiwilligen ausländischen Unterstützer.

Hier mache ich für heute Schluss. Nach diesen deprimierenden Schlussfolgerungen finde ich sicher keine Szenarien, die zum Frieden führen könnten. Aber ich werde es fortsetzen, noch nicht wissend wie, deshalb steht schon jetzt eine (1) hinter dem Titel.