Tagebuch

für mich und wenige andere

Narrativ: NATO-Ost-Erweiterung

Die NATO-Ost-Erweiterung ist natürlich kein Narrativ sondern ein Faktum. Kein Mensch bestreitet das. Schön, wenn man sich mal einig ist. Das Narrativ ist die Erzählung, wie diese NATO-Ost-Erweiterung zustande gekommen ist und vor allem die Erzählung, dass sie nicht hätte zustande kommen dürfen.

Man könnte nun diese Behauptung mit dem einfachen Hinweis abräumen, dass es keinerlei vertragliche Vereinbarung gibt, die eine solche Behauptung belegen. Fall also erledigt!? Aber kein Rauch ohne Feuer, von irgendwoher muss doch diese Story in die Welt geraten sein. Ja, es gibt da etwas, nämlich die mündliche Zusicherung vom damaligen US-Außenminister Baker gegenüber Gorbatschow: Kein Zoll ostwärts. Da haben wir es doch, in diesem Geist wurde damals verhandelt (2+4 Verhandlungen 1990) und zumindest ist der Geist der Verträge verletzt worden. Das waren auch später die Argumente Jelzins und in der ersten Phase auch Putins. Doch das ist eine nachträgliche Überinterpretation dieser rechtlich nicht verbindlichen Äußerung. Sie bezog sich ausschließlich auf die DDR, auf deren Gebiet keine NATO-Stützpunkte errichtet werden sollten und insbesondere keine Atomraketen aufgestellt werden sollten. Dieses Versprechen ist tatsächlich eingehalten worden, bis heute, obwohl es wohl nur indirekt im 2+4-Vertrag fixiert wurde, indem man diesem Gebiet einen besonderen militärischen Status zugewiesen hatte. Eine Ausdehnung der Formel „Kein Schritt ostwärts“ konnte damals aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen gar nicht vorgenommen werden: die Ostblockländer waren zu diesem Zeitpunkt noch Mitglieder des Warschauer Pakts und es galt und gilt auch heute noch die Schlussakte von Helsinki, die allen Ländern die freie Bündniswahl gestattete. Das heißt, eine solche Zusicherung wäre eine Verletzung der Helsinki-Verträge gewesen.

Nun könnte man einwänden, es gibt ja nicht nur die freie Bündniswahl sondern auch die Freiheit der Bündnisse, Mitglieder aufzunehmen oder abzuweisen. Das erleben wir ja gerade bei der Aufnahme Schwedens, die von der Türkei blockiert wird. Also kann die NATO schlicht sagen, dich wollen wir nicht, es widerspricht dem Geist der Versöhnung, der Versprechungen, der Gespräche, der Verträge.

Wäre das klug gewesen? Im Nachhinein kann man darauf je nach politischem Standpunkt verschiedene Antworten geben. Zum damaligen Zeitpunkt gab es nur die aus Jahrzehnten und Jahrhunderten gewachsenen Erfahrung mit den Russen: Wir haben die Schnauze voll. Nichts wie rein in die NATO. Das galt besonders für die baltischen Länder und Polen. Auch Ungarn ist damals mit fliegenden Fahnen in die NATO gegangen. Dass heute Ungarn mit Russland merkwürdig kungelt, kann ich nur als Verrat am ungarischen Aufstand von 1956 sehen. Ob es aus den Bevölkerungen dieser Länder heraus einen nennenswerten Widerstand gegen den Beitritt gegeben hat, weiß ich nicht. Nein-Sager gibt es bekanntlich immer.

Nun bleibt immer noch die Frage: War die Aufnahme politisch klug? Da kommt denn das berühmte immer wieder gebrachte Statement des amerikanischen Ex-Diplomaten und Historikers G. F. Kennan:

Die Ausweitung der Nato wäre der verhängnisvollste Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg.
Solch eine Entscheidung, so steht zu erwarten, wird die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der öffentlichen Meinung Rußlands anheizen; sie wird sich nachteilig auf die Entwicklung der russischen Demokratie auswirken; sie wird in den Ost-West-Beziehungen die Atmosphäre des Kalten Krieges wiederbeleben und die russische Außenpolitik in eine Richtung treiben, die uns ganz und gar nicht gefallen dürfte
.

Das greife ich an einem anderen Tag noch einmal auf, für heute wird es zu lang und man soll ja mit seinen Kräften und Ideen haushalten.