Tagebuch

für mich und wenige andere

Nationalsozialismus – Nazismus

Eigentlich wollte ich mich mit dem sogenannten Nazismus in der Ukraine beschäftigen, den es laut Putin mit allen Mitteln auszurotten gilt, damit er nicht wieder über Mütterchen Russland herfallen kann. Aber bevor ich damit anfange, muss ich wieder mal eine Begriffsklärung versuchen, damit ich weiß, worüber ich dann sprechen werde.

Nach Wikipedia ist der Nationalsozialismus „eine radikal antisemitische, rassistische, ultra-nationalistische, völkische, sozialdarwinistische, antikommunistische, antidemokratische und antipluralistische Ideologie„. An dieser Definition und Aufzählung ist einiges kritisch zu beleuchten. Zunächst würde ich Nationalsozialismus nur noch als historischen Begriff benutzen, im politischen Sprachgebrauch nur von Nazismus reden, wie er beim Schwur von Buchenwald, von Viktor Klemperer, von Fritz Bauer (Ankläger im Auschwitzprozess) und von Telford Tayler (Hauptankläger in Nürnberg) bereits verwendet wurde . Den Nazis wird mit dem Begriff Sozialismus zu viel Ehre angetan. Hinzu kommt, dass dieser Begriff automatisch auf Deutschland, vielleicht noch Österreich, eingeschränkt ist. Mit dem Begriff Nazismus geben wir ihn sozusagen der Welt frei, beanspruchen wir als Deutsche kein Copyright. Soweit stimme ich sogar mit der russischen Propaganda überein, die meines Wissens den Begriff Nationalsozialismus auch nicht benutzt.

Nun zur Aufzählung der Eigenschaften. Vermutlich steht antisemitisch an erster Stelle, weil diese Ausprägung des Nazismus die grausigste Konsequenzen mit vermutlich mehr als 6 Millionen ermordete Juden nach sich zog. Wenn man die durch den Nazismus direkt und indirekt verursachten Kriegstoten berücksichtigt, die noch weitaus höher lagen, möchte man ein weiteres Adjektiv zur Charakterisierung hinzuzufügen: kriegslüstern. Nicht kriegstreibend, nicht kriegswillig, das sind viele Gesellschaften in unterschiedlichen Phasen gewesen. Dem Nazismus scheint mir eine primäre Lust auf Krieg inne zu wohnen. Auch das ist natürlich nicht singulär für den Nazismus, das hatten wir in verschiedensten Ausprägungen über die Jahrhunderte.

Dann stört mich in der Aufzählung antikommunistisch. Dieses Adjektiv adelt den Kommunismus ungerechtfertigt. Letztlich waren der Antinazismus der Kommunisten und der Antikkommunismus der Nazis zwei Seiten der gleichen Medaille. Sie standen sich nur im Weg zur Alleinherrschaft.

Warum steht in der Aufzählung nicht auch antisozialistisch, denn das ist der Nazismus zweifellos, obwohl er auch Elemente des späteren Staatssozialismus hatte. Aber antisozialistisch passt natürlich schlecht zum Begriff Nationalsozialismus. Wieder ein Grund mehr von Nazismus zu sprechen und ihn nicht nur als bequeme Abkürzung zu benutzen. Antidemokratisch ist der Nazismus zweifellos, was er mit dem Kommunismus gemeinsam hat. Diese Eigenschaft ist essentiell, aber nicht ausreichend. Was es nun mit antipluralistisch in Ergänzung zu antidemokratisch auf sich hat, weiß ich nicht so genau. Normalerweise erwartet man von einer Demokratie automatisch Pluralismus. In manchen Ausprägungen ist sie jedoch möglicherweise nicht besonders pluralistisch bezüglich Lebensformen, Glaubens- und Religionsformen sowie weiterer Aspekte. Daher scheint antipluralistisch eine sinnvolle Erweiterung des Begriffs ‚Nazismus‘ zu sein..

Nun zu rassistisch. Das scheint dem Nazismus eine Herzensangelegenheit zu sein, im Gegensatz zum Beispiel zum italienischen Faschismus, der wohl wenig rassistisch war. Aber was hat es mit diesem Begriff überhaupt auf sich? Leitet er sich von Rasse ab, meint aber nicht die gesamte Menschenrasse, wie das im englischen oder französischen ist, so ist er relativ sinnfrei, denn unterschiedliche Menschenrassen sind biologisch-genetisch nicht feststellbar. So kann man wohl eher annehmen, dass Rasse eine ideologische, wenn auch nicht linguistische Ableitung aus Rassismus ist, damit dieser einen Gegenstand seiner Ablehnung der anders Aussehenden, der anders Sprechenden, der anders Sich-verhaltenden hat. In diesem Sinne darf man den Antisemitismus als besondere Spielart des Rassismus sehen.

Ich komme zu ultra-nationalistisch. Ich weiß nicht, ob der Nationalismus der Nazis noch mit einer ultra-Vorsilbe getoppt werden muss. Ich würde diese weglassen – aber siehe unten –, da sie nur schwer definierbar ist. Vielleicht ist ein Ultra-Nationalist ein nationalistischer Bürger, der noch kein Reichsbürger ist oder so.

Nun zu völkisch. Damit tue ich mich schwer. Bringt er noch mehr zum Ausdruck als nationalistisch? So etwas wie Volk ohne Nation? Auf der anderen Seite hat er seine historischen Wurzeln im 19. Jahrhundert, wo es darum ging, die unterschiedlichen deutschen Landsmannschaften zu einem einheitlichen Volk zusammenzuführen, um sie damit nationenfähig zu machen. Völkisch ist einerseits verbrannt durch die geschichtliche Entwicklung andererseits dennoch zu positiv, um es den Nazis zu gönnen. Es ist in der Reihung eigentlich der einzige Begriff, der sich nicht negativ definiert. Da wiederum völkisch meines Wissens etwas ziemlich Deutsches ist, würde ich den Nazismus-Begriff wieder stark auf Deutschland eingrenzen. Mein Kompromissvorschlag wäre, das ultra-nationalistische beizubehalten und das völkisch dafür fallen zu lassen. Wenn ich nun auch noch das antisemitisch streichen will und es im rassistisch ausreichend berücksichtigt sehe, gerate ich vielleicht wieder in die Gefahr der Verharmlosung. Aber man stelle sich einen Staat oder eine Bewegung mit diktatorischen (antidemokratischen), ultra-nationalistischen, rassistischen, antipluralistischen Eigenschaften vor und nun soll es mir verwehrt sein, ihn bzw. sie nazistisch zu nennen, nur weil bislang oder prinzipiell keine antisemitische Ausprägung feststellbar ist? Natürlich könnte man den Nazismus auf seine schärfste Form einengen, nämlich dass dazu die systematische Ausrottung des Judentums gehört, aber dann schränkt man ihn auf ein historisches Phänomen ein, das einmalig bleiben sollte und verbietet sich, die gegenwärtige politische Entwicklung mit der Erfahrung des Nazismus zu bewerten und entsprechende Lehren zu ziehen.

Ein weiteres Adjektiv sozialdarwinistisch lasse ich unter den Tisch fallen, da es mir für die Beurteilung nazistischer Bewegung nicht notwendig erscheint, wenngleich diese Eigenschaft bei der Bewertung des deutschen Nazismus durchaus relevant ist.

Ich fasse zusammen. Die wesentlichen Komponenten des Nazismus sind:

Rassismus, Ultranationalismus, Demokratiefeindlichkeit und Antipluralismus.

Ob diese Definition so trägt, kann ich erst erkennen, wenn ich einzelne Nazismus-Varianten betrachten werde.

Das ist viel zu lang geworden, aber es ging nicht anders, ich musste mir selbst Klarheit verschaffen. Hoffentlich ist das gelungen.