Es geht natürlich nicht um Adam und Eva und ihren lächerlichen Sündchen. Wir späteren haben da schon ein bisschen mehr drauf. Ich weiß nicht, wann mir die These von der Ursünde das erste Mal über dem Weg gelaufen ist. Sehr lange ist es nicht her, dass der Erste Weltkrieg als die Ursünde des 20 Jahrhunderts bezeichnet wurde. Von wem als erster– keine Ahnung? Zum Ende dieses Schreibens werde ich mal den Bot Fragen, zunächst lasse ich mich frei fabulieren..
Wenn also der Erste Weltkrieg die Ursünde des vergangenen Jahrhunderts war, darf gefragt werden, wer sie denn begangen hat. Aber die These wird so allgemein gehalten, dass nur die Antwort bleibt: die Menschheit oder wenigstens die Kriegsparteien. Die Schuldfrage will ich hier auch gar nicht stellen, ein bisschen habe ich darüber in dem Eintrag „Die Schlafwandler“ philosophiert. Ich möchte gern herausfinden, warum dieser Teil der Krieg führenden Menschheit für Fähigkeiten gehalten wird, eine solche Sünde zu begehen. Es wird also einem ziemlich großen Teil der Menschheit zugetraut, sündefähig zu sein, also nicht nur das Individuum als sündefähig angesehen wird. Ohne dem Ursprung von Ursünde des 20. Jahrhunderts nachgehen zu wollen, will ich doch ziemlich selbstsicher behaupten, dass es nur als Metapher zu verstehen ist, die Erfinder oder Erstnutzer des Begriffs keinerlei religiöse Ableitung meinten. Es sollte halt nur ein besonders starkes Wort für ein Geschehen sein, aus dem weitere schreckliche Geschehnisse des Jahrhunderts hervorgegangen sind, vielleicht nicht ihre Ursache hatten, aber doch eine Ausgangsbasis war, auch eine politisch-propagandistische Plattform für die Zukunft bot.
Ich lasse das mal als These stehen und darf nun fragen, ob es später oder früher auch solche Jahrhundert–Ursünden gab. Ich lasse zunächst das jetzige Jahrhundert beiseite. Da will ich natürlich hin, aber nicht gleich. War man also auch in früheren Jahrhunderte zu schuldhaftem kollektiven Handeln fähig, denn nichts anderes haben die Mächtigen und Mächte vor dem Ersten Weltkrieg getrieben. Ich denke, das kann man auch in früheren Jahrhunderten feststellen. Wenn Napoleons Frankreich die Welt mit Kriegen überzog – wobei Preußen, England Russland, Österreich nicht unbedingt die Unschuldslämmer waren, als die sie sich später gerne darstellten -, so denke ich, war auch hier schon kollektives schuldhaftes Verhalten unterwegs. Aber auch wenn man hier Napoleon gerne als Alleinverursacher sehen möchte, so ist auch gerade er als ein Produkt der Aufklärung im besonderen Maße sündefähig.
Ich gehe weiter zurück und finde wieder ein früheres Produkt der Aufklärung, Friedrich, der mit seiner Besetzung Schlesiens 1742 die Folgekriege provoziert hat. Die Blickrichtung wird nun immer europa-zentrierter, genauer mitteleuropa-zentrierter und der Begriff Ursünde wird langsam zu gewaltig für Kriege, die im Vergleich zu heutigen eher als Folge von Scharmützeln zu charakterisieren sind.
Also auf in die Zukunft, ich schaue in unser Jahrhundert. Welches Geschehen kann ich hier als Ursünde ausmachen. Zurzeit schreit vielleicht jeder, das wäre der Überfall Russlands auf die Ukraine. Das wäre sicher ein guter Kandidat, wobei noch offen wäre ob 2014 oder 2022. Ich meine aber, das ist nicht die eigentliche Ursünde. Dazu will ich zunächst wiederholen: Ursünde ist nicht Ursache. Das heißt, wenn ich etwas anderes als Ursünde ausmache, entlastet das nicht Putin mit seinen schamlosen Angriffskrieg auf sein angebliches Brudervolk, genauso wenig wie Hitler und sein Deutschland durch die Ursünde des Ersten Weltkrieges entlastet wurden und werden. Die Ursünde bringt jeweils etwas ins Rutschen, eine gewisse Reife, die sich die Menschheit mühselig erarbeitet hat, und die sich gewöhnlich in Vertragswerken niederschlägt, die nicht unbedingt gleich das gewaltige Völkerrecht gestalten müssen, aber doch schon ein Verpflechtung erreicht haben, dass eine gewisse Stabilität im Gefüge der Staaten verspricht. So war durch Bismarcks Vertragspolitik eine über 40-jährige Friedensphase gesichert worden, die durch neue oder aufgekündigte Verträge langsam zerstört wurde.
Vor den napoleonischen Kriegen ist für mich nur wenig vertragliches Gefüge erkennbar, vielleicht am deutlichsten noch der Friedensschluss nach dem 7-jährigen Krieg. Wohl aber gab es dieses Gefüge vor den fredericianischen Kriegen mit den völkerrechtsähnlichen Vertragswerken nach dem 30-jährigen Krieg.
Ich darf, glaube ich, sagen, dass in den letzten Jahrhunderten Ursünden immer dann stattgefunden haben, wenn ein juristischer, humanistischer, aufklärerischer Fortschritt mutwillig gestört, ja, zerstört wurde. Und da finde ich für unser Jahrhundert als eindeutigen Markstein den Irakkrieg. Er war nicht nur völkerrechtswidrig, er war sogar kollektiv völkerrechtswidrig, er war nicht nur eine amerikanische Angelegenheit und er war zudem noch unglaublich dumm. Dadurch wurden erst die Probleme ausgelöst, die er lösen sollte. Die Büchse der Pandora wurde geöffnet, wie der ägyptische Präsident Mubarak vergeblich gewarnt hatte.
Warum nicht der Afghanistan-Krieg? Er war völkerrechtlich weitgehend legitimiert. Dass er möglicherweise auch dumm war und sicher auch in Teilen verbrecherisch steht auf einem anderen Blatt. Und dennoch beruft man sich eher selten auf den Afghanistan-Krieg, wenn von den Hegemonialansprüchen und der Doppelmoral des Westens die Rede ist. Vielleicht liegt es daran, dass man zu gerne gesehen hat, wie die Amerikaner und ihre Verbündeten die Drecksarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus geleistet haben, denn der hat schließlich jedes Land bedroht.
Zum Abschluss lasse ich ChatGPT seine Meinung sagen. Nach ChatGPT wird der Begriff „Ursünde des 20. Jahrhunderts oft verwendet, um auf wichtige und negative Ereignisse oder Entwicklungen im 20. Jahrhundert hinzuweisen.“ Es werden dazu die Entstehung des Ersten Weltkriegs, das Aufkommen totalitärer Systeme und Entwicklung und Ersteinsatz der Atombombe gezählt. Eine einheitliche Definition dafür gäbe es nicht, die Bedeutung hänge stark vom Kontext und der Perspektive ab.
Nun habe ich also gelernt, es kann mehrere Ursünden geben, also habe ich Stoff für weitere Bemerkungen zu diesem Thema.