Tagebuch

für mich und wenige andere

„Entnazifizierung“

Eigentlich sollte es hier eine Verteidigungsrede für das des Nazismus angeklagten ukrainischen Volkes geben. Aber nun lief mir eine andere Möglichkeit über den Weg, mich mit diesem Problem auseinanderzusetzen.

Die „Blätter für deutsche und internationale Politik“ haben den Mut, ein Papier zu übersetzen und zu veröffentlichen, das in kaum glaubhafter Offenheit darlegt, wie Russland mit der Ukraine zu verfahren gedenkt. Es stammt von dem Politologen T. Sergejzew und könnte eine der Vorlage für Putins Rede am Vorabend seines Überfalls gewesen sein.

Warum haben die „Blätter“ diesen Mut? Ich denke, vor allem weil die „Blätter“ für eine Klientel sind, die nicht in Gefahr geraten kann, auf ein solches Ideologiegebäude hereinzufallen. Bis heute wird „Mein Kampf“ nicht unkommentiert in Deutschland verlegt, wir haben bis heute nicht den Mut, dieses Werk auf das deutsche Volk los zu lassen. Und dieser Artikel scheint mir in seiner Schamlosigkeit und Verlogenheit diesem Hitlerschen Machwerk durchaus ebenbürtig, teilweise sogar überlegen zu sein. Die „Blätter“ kommentieren zwar in einem kurzen Vorspann, aber das reicht naturgemäß nicht aus, diese Ideologie zu zerlegen. Alle, die den russischen Krieg unterstützen, werden durch den Artikel sicher gestärkt, nur wenigen von diesen wird dabei der Schreck in die Knochen gefahren sein. Aber diejenigen, die vielleicht noch dachten, mit den Ukrainern würde es schon nicht so schlimm werden, wenn sie den Krieg verlieren sollten, wird diese Illusion wohl vergehen.

Es hat also kaum einen Sinn, sich an einer Art Kommentierung oder gar Widerlegung dieses Artikels zu versuchen. Ich verlinke ihn hier und jeder, der starke Nerven hat, mag ihn lesen. Zur Unterstützung gebe ich nur ein paar Übersetzungshilfen, dann versteht man ihn sicherlich etwas besser. Einige Wörter kann man nicht gut übersetzen, ich habe dabei ein paar hoffentlich verständliche Neuwörter eingeführt oder halt Wörter, die nicht (noch nicht) allgemein üblich sind.

  • Nazi = Euroukrainer (so nenne ich mal einen europäisch orientierten Ukrainer)
  • Nazifizierung = Europäisierung
  • Entnazifizierung = Russifizierung
  • Naziregime = gewählte Regierung
  • Kriegsverbrecher = ukrainischer Soldat
  • Nazismus = Europäismus (hiermit wohl erstmalig eingeführt, Europäertum wäre auch eine mögliche Übersetzung)
  • nazistisch = gewählt oder europäisch, je nach Kontext
  • Nazigesellschaft = europäische Gesellschaft
  • speziellen Militäroperation = Überfall auf die Ukraine

Dieses Wörterbuch gilt natürlich nur für diesen und ähnliche russische Artikel sowie für alle Reden Putins & Co. Wer den gesamten Artikel lesen wird, muss sich sicher noch ein paar mehr Übersetzungshilfen schaffen.

Nun gebe ich mit dieser Übersetzungshilfe ein paar Beispiele aus dem Text, so dass man etwas Übung für das Lesen des gesamten Textes bekommt.

  • Die Russifizierung ist notwendig, wenn ein bedeutender Teil des Volkes –
    höchstwahrscheinlich seine Mehrheit – von der gewählten Regierung beherrscht und in dessen Politik hineingezogen wird.
  • Ukrainische Soldaten und aktive Euroukrainer müssen hart und exemplarisch bestraft werden
  • Die weitere Russifizierung dieser Masse der Bevölkerung besteht in der
    Umerziehung, die durch ideologische Unterdrückung europäischer Einstellungen und strenge Zensur erreicht wird
  • Die Russifizierung kann nur vom Sieger durchgeführt werden, was voraussetzt, dass er … die unbedingte Kontrolle über den Russifizierungsprozess hat (NB: wie trivial doch so manches wird, wenn nur die richtigen Worte gewählt werden)
  • Die europäisch orientierte Ukraine (NB: scheint mir die beste Übersetzung für Ukronazismus zu sein) stellt keine geringere, sondern eine größere
    Bedrohung für den Frieden und für Russland dar als Hitlers Version des deutschen Nationalsozialismus.
  • Der Name „Ukraine“ kann offensichtlich nicht als Bezeichnung für ein vollständig russifiziertes Staatsgebilde auf einem von der gewählten Regierung befreiten Gebiet beibehalten werden. (NB: wieder mal wie trivial)
  • Die Russifzierung wird unweigerlich eine Entukrainisierung sein …(NB: wow)
  • Die Russifizierung als Ziel des Überfalls auf die Ukraine selbst wird als militärischer Sieg über die gewählte Kiewer Regierung, die Befreiung von Gebieten bewaffneter Anhänger der Europäisierung, die Beseitigung unversöhnlicher Euroukrainer, die Ergreifung von ukrainischen Soldaten und als die Schaffung der systemischen Voraussetzungen für eine spätere Russifizierung in Friedenszeiten verstanden. (auch ohne meine Übersetzungshilfen enthält der Satz keinerlei Logik, m. E.)

Nun kommt der abschließende Hammer, der alle Russen aufschrecken lassen sollte, denn es geht eigentlich nicht um die Ukraine sondern um Russland selbst:

Um den Plan der Russifizierung der Ukraine umzusetzen, muss Russland selbst endlich seine pro-europäischen und pro-westlichen Illusionen aufgeben, um sich als letzte Instanz des Schutzes und der Bewahrung jener Werte des historischen Europas (der Alten Welt) zu begreifen, die es verdient haben und die der Westen schließlich aufgegeben hat, nachdem er den Kampf um sich selbst verloren hatte.

Mir kommen die Tränen. Danach kommt nur das typische weinerliche, von Selbstmitleid triefende Gejammer, wie gut und hilfreich doch die Russen zu Europa und zur Welt gewesen sind und dass sie ihr sogar die Alternative zum Kapitalismus mit dem sozialistischen, roten Projekt angeboten haben.

Schlussfolgerung: Wenn wir das alles nicht dankbar akzeptieren, werden wir die Folgen (s. Ukraine) tragen müssen.

Hier der vollständige Artikel des großen Gelehrten T. Sergejzew