Tagebuch

für mich und wenige andere

Wertegeleitete Außenpolitik

Wertegeleitete Außenpolitik, was ist das eigentlich? Wird diese Frage von denjenigen, die diesen Begriff ständig benutzen, überhaupt gestellt? Die einen benutzen ihn als Kampfbegriff, als Losung, die anderen verwenden ihn kritisch, spöttisch bis hämisch, er wäre dem Staat nicht dienlich. Beide »Parteien« vermeiden aber, zu sagen, von welchen Werten eigentlich die Rede ist, von denen man sich leiten bzw. lieber nicht leiten lassen sollte. Die Werte wären doch selbstverständlich, es sind die klassischen, humanistischen Werte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Gleichberechtigung, Minderheitenschutz, Antirassismus, Menschenwürde usw. usw.

Moment, wir reden über Außenpolitik, es geht um die Beziehungen zwischen Staaten. Welche Werte wir in unseren Nationen hochhalten, in welcher Rangordnung wir sie sehen, ist unsere Sache, andere dürfen, aber müssen es nicht ähnlich sehen. Aber es gibt doch universelle Werte, wird entgegengehalten, daran müssten sich doch alle halten. Dazu gibt es tatsächlich eine Vereinbarung: die UN-Charta. Zu dieser haben sich alle Mitgliedsländer verpflichtet und könnten im außenpolitischen Handeln der Staaten eingefordert werden. Blickt man nun in die Charta, so finden wir dort nicht sehr viele belastbare Aussagen über Menschenrechte. Hier werden nur zwei Punkte deutlich angesprochen: Menschenwürde und – tatsächlich an dieser Stelle schon – die Gleichheit von Mann und Frau.

Wollen wir tiefer in die international vereinbarten Werte schauen, muss man die Deklaration zu den Menschenrechten heranziehen. Hier findet man eine Unmenge von Werten, ich will sie hier zum Auswendiglernen aufführen:

Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Diskriminierungsverbot, Recht auf Leben und Freiheit, Sklavereiverbot, Folterverbot, Anerkennung der Rechtsperson, Gleichheit vor dem Gesetz, Rechtsschutz vor willkürlicher Verhaftung und Ausweisung, Unschuldsvermutung, Recht auf Privatsphäre, Auswanderungsfreiheiten, Asylrecht, Recht auf Staatsangehörigkeit, Ehe- und Familienschutz, Eigentumsgarantie, Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit, Wahlrecht (passiv und aktiv), soziale Sicherheit, Lohngerechtigkeit, Koalitionsfreiheit, Recht auf Erholung, auf angemessenen Lebensstandard, auf Bildung und auf noch ein paar Rechte mehr.

An dieser Liste sieht man schon, das kann keine verpflichtende Erklärung sein, denn es dürfte kaum einen Staat geben, der diesen Kriterien genügt. Und so steht auch vor dieser Wunschliste:

»verkündet die Generalversammlung

diese Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal, damit jeder einzelne Mensch und alle Organe der Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwärtig halten und sich bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung vor diesen Rechten und Freiheiten zu fördern… »

Amnesty International

Das Problem ist meines Erachtens nicht, dass diese Ziele kaum erreichbar sind. Das Problem ist, dass viele Staaten, die sich zu dieser Deklaration bekennen (das sind 193 von den 195 Mitgliedstaaten der UN), nicht den geringsten Versuch machen, diese Ziele anzustreben. Entweder lehnen sie sie zynisch mit Verweis auf ihre eigene Kultur und kulturellen Traditionen ab oder noch zynischer, sie interpretieren sie um. In einem chinesischen Umerziehungslager wird doch ständig das Recht auf Arbeit, Bildung und einiges mehr realisiert.

Also an Werten mangelt es nicht, nach denen man seine Außenpolitik ausrichten könnte. Aber die Unverbindlichkeit der Deklaration gibt auch kein Recht oder Verpflichtung her, auf die Einhaltung zu pochen. Ich komme zu der Schlussfolgerung: Die Menschenrechtsdeklaration mit ihrer riesigen Schar erstrebenswerter Werte ist ein Aufruf nach Innen, ein Aufruf an jeden Staat, diese Werte in ihren Ländern weitestgehend zu verwirklichen. Auf keinen Fall ist es ein Aufruf an die Außenpolitiker der Länder, anderswo darauf zu achten, dass diese Werte eingehalten oder angestrebt werden. Eine wertegeleitete Außenpolitik erscheint deshalb als wenig sinnvoll und hilfreich, wenn sie sich auf die Werte der Menschenrechtsdeklaration bezieht.

Man darf natürlich andere Werte heranziehen, die eine wertegeleitete Außenpolitik bestimmen könnten. Da wären zum Beispiel keine Waffenlieferungen in Krisengebiete, keine Spionage, keine Diskriminierung anderer Länder, Unterstützung bedrohter Länder zu nennen und noch etliches mehr.

Ich bleibe noch bei den zwischenmenschlichen Werten. Selbst wenn sich die Staaten dazu als Ideal bekennen, wird jeder Staat andere Prioritäten bei der Verwirklichung dieser Werte setzen. Es dürfte einen Staat auch bei bestem Willen überfordern, sie in breiter Front gleichermaßen anzugehen. Da kommt dann die eine Außenpolitik mit dieser Prioritätenliste und die andere mit einer gänzlichen anderen und schon dürfte die »Werteleitung« in ihrer ersten Sackgasse stecken und eigentlich schon in ihrer letzten.

Ich will hiermit nicht der totalen Nichteinmischung das Wort reden, Einflussnahme (ein netteres Wort als Einmischung) darf schon sein, aber dafür gibt es genug internationale regierungsferne und regierungsnahe Institutionen, die den interkulturellen Austausch teilweise hervorragend übernehmen. Der Staat darf auch solche Institutionen fördern, unterstützen und auch versuchen, sie im Ausland zu schützen. Das wäre eine Art Graswurzelbewegung, Menschenrechte über Ländergrenzen hinweg zu fördern. Leider scheint man – mindestens in Deutschland – unter wertegeleitete Außenpolitik mehr als die Verteidigung zwischenstaatlicher Werte oder die sanfte Einflussnahme über NGOs und ähnlichen Einrichtungen zu verstehen. Man könnte sonst nicht von feministischer Außenpolitik sprechen, denn die ist offensichtlich aus dem Wertefundus der Deklaration abgeleitet und setzt in der Prioritätenliste, die bislang auch für Deutschland nicht festgelegt wurde, das Gleichberechtigungsproblem an erster Stelle. Nichts ist dagegen zu sagen, wenn wir es auf die Innenpolitik beziehen, wenngleich auch dies in einigen Kreisen Widerspruch hervorrufen würde. Jedoch mit der Flagge einer feministischen Außenpolitik durch die Länder zu ziehen, wirkt auch angesichts der Mängel bei uns nur lächerlich.

Es ist mir tatsächlich gelungen, kein Wort über interessengeleitete Außenpolitik zu sagen. Das war nicht so einfach. Ich merke sie als ein nächstes Thema vor, wobei sicher noch nicht das letzte Wort über die wertegeleitete gesprochen ist.