Tagebuch

für mich und wenige andere

Chruchill und Stalin

»Der Bolschewismus muss in seiner Wiege erdrosselt werden.« Geht es deutlicher? Die Abscheu gegenüber dem Kommunismus kommt in diesem Wort Churchills vielleicht am brutalsten zum Ausdruck. Und er hat nicht nur gegen den Kommunismus gewettert, er hat auch als Kriegsminister den Einsatz von britischen Truppen im russischen Bürgerkrieg unterstützt. Die Erfolglosigkeit dieses Einsatzes hat ihn gewiss nicht von seiner Überzeugung abgebracht. Zur Erhärtung noch einige weitere Zitate:
„Die Zivilisation wird über gigantische Gebiete hinweg vollständig ausgelöscht, während die Bolschewiken wie Truppen von wilden Pavianen zwischen den Ruinen der Städte und den Leichen ihrer Opfer hüpfen und tänzeln.“
„Wenn der Triumph der Bolschewiken zur Verbreitung ihrer Prinzipien führt, wird die Zeit kommen, in der wir endlich eingreifen müssen, um Europa vor der Barbarei zu retten.“
Reicht das? Die Haltung Churchills zu Lenins und Stalins Russland ist mehr als klar.
Und dann kommt Hitler. Und dann kommt der nicht Angriffspakt. Und dann nimmt sich Stalin »vertragsgemäß« ein ordentliches Stück Polen, nachdem Hitler die Drecksarbeit erledigt hatte, die polnische Armee, den polnischen Staat zu zerschlagen. Und dann übernimmt Churchill die Regierung und muss vermuten, dass hier nicht nur ein Nichtangriffspakt geschlossen wurde, sondern auch ein gemeinsamer Angriffspakt Hitlers und Stalins gegen Großbritannien oder ein solcher zumindest in Vorbereitung ist.
Man darf sich an dieser Stelle fragen, warum Großbritannien nicht auch der Sowjetunion den Krieg erklärt hatte, denn das Bündnis mit Polen war doch wohl ein Verteidigungsbündnis ohne Namensnennung, gegen das es sich hätte richten können. Aber sei es, wie es sei. Vermutlich gab es auch die Vorausahnung, dass man die Sowjetunion eines Tages brauchen wird oder sie den Westen.
Es kommt nun zum Schlag Deutschlands gegen die Sowjetunion. In der kommunistischen Nachkriegspropaganda versuchte man, uns weiszumachen, der Westen wäre vornehmlich daran interessiert, diese beiden Mächte sollten sich mal gegenseitig zerfleischen und die Westmächte wären dann der lachende Dritte. Das war damals Unfug und ist es heute nicht weniger. Den Briten stand das Wasser bis zum Halse, Großbritannien wurde ohne Ende bombardiert, die britischen Luftstreitkräfte noch schwächlich, Amerika noch nicht im Krieg. An solchen Überlegungen dürfte Churchill keine Minute Zeit verschwendet haben. Sein ganzes Sinnen war auf die Unterstützung des kommunistischen Erzfeindes ausgerichtet. Das findet Niederschlag in seiner Rede wenige Tage nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion: »Die Gefährdung Russlands ist unsere eigene Gefährdung und die Gefährdung der Vereinigten Staaten, und der Kampf jedes Russen für Heim und Herd ist der Kampf aller freien Menschen und aller freien Völkern in allen Teilen der Welt.«
Halten wir einen Augenblick inne. Der Erzantikommunist Churchill bezeichnet den Kampf des stalinistischen Russlands, der stalinistischen Sowjetunion als den »Kampf aller freien Menschen und aller freien Völker in allen Teilen der Welt«. Da bleibt einem doch die Spucke weg. Natürlich glaubt Churchill keinen Augenblick, dass Russland ein freies Land ist, glaubt nicht, dass Russland für die freie Welt kämpft, aber er weiß, dieser Kampf Russlands ist auch sein Kampf, ist auch ein Kampf für die Freiheit Großbritanniens. Er wirft also alle ideologischen Scheuklappen über Bord, denn er weiß, dieser Krieg Russlands ist auch sein Krieg. Diese Erkenntnis ist für ihn relativ einfach, denn Großbritannien befindet sich schon im Krieg mit Deutschland und wenn man den gleichen Feind hat, fällt es natürlich leichter, sich mit ihm zu verbinden: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
Wir aber sind (noch) nicht im Krieg mit Russland, also was geht uns die Ukraine an, das ist nicht unser Krieg. Russland ist doch unser Freund, hat uns doch die Einheit gebracht, liefert uns billiges Gas, Erdöl, Erze. Noch einmal: Was geht uns die Ukraine an? Haben wir sie schon mal besucht, waren nicht die meisten von uns schon wieder in Russland? Wer kennt Kiew, wer Odessa? Sicherlich ein Manko von den meisten und die wenigen Deutschen, die in der Ukraine studiert haben, haben die Ukraine vermutlich nicht als Ukraine erlebt, sondern als ein Stück Russland, als Sowjetunion und die Ukrainer als Kleinrussen, wie sie bis heute von den Großrussen bezeichnet werden. Den meisten von uns fehlt eine emotionale Beziehung zur Ukraine, so wie wir eine emotionale Beziehung zu fast jedem Land haben, das wir irgendwann besucht haben. Liegt hier vielleicht das tiefere psychologische Problem: Russlandbesoffenheit vieler Deutscher und Gleichgültigkeit gegenüber einem Land, dass nur die wenigsten kennen. Dann genügt nur noch ein bisschen Geschwätz über Korruption und Nazis in der Ukraine und großzügiges Übersehen bzw. Nichtwahrnehmen ähnlicher Phänomene in Russland und schon ist die Rechtfertigungsideologie für »nicht unser Krieg« fertig.
Es ist mehr als gerechtfertigt, sich Churchills Haltung im Krieg als Denkvorlage für unsere heutige Situation zu nehmen und das obige Zitat etwas anzupassen:
»Die Gefährdung der Ukraine ist unsere eigene Gefährdung und die Gefährdung Europas und der Vereinigten Staaten, und der Kampf jedes Ukrainers für Heim und Herd ist der Kampf aller freien Menschen und aller freien Völker in allen Teilen der Welt.«
Noch deutlicher wäre die Denkvorlage Churchills, wenn ich »Gefährdung« durch »Niederlage« ersetzen würde. Mag es jeder für sich tun, das übt.