Seit Wochen drücke ich mich davor, einen Artikel über meine Kriegsangst zu schreiben. Warum drücke ich mich? Ich weiß nicht, wohin mich das Schreiben treiben wird. Treibe ich mich durch das Schreiben noch tiefer in diese Ängste hinein, schreibe ich mich heraus, gelingt es mir gar, alles zu versachlichen? Ich schreibe also los und habe kein Konzept und weiß nicht, wo es mich hinführt.
Fange ich also an, fange beim Anfang an und betrachte meine Angst in den ersten Kriegsmonaten. Sie war bei mir nicht so ausgeprägt, wie sie teils in der Öffentlichkeit, teils in meiner Umgebung vorhanden war. Die Angst der anderen bezog sich zumeist darauf, wir würden uns zu sehr einmischen, zu viel liefern und der Putin wird dann so richtig böse. Wie schnell er das Wort von den ultimativen Waffen gesprochen hat, war schon erschreckend, hat auch mich erschrocken. Aber genau die Reflexion über das Selbst-erschrocken-Sein beruhigte mich wieder, denn schnell war klar, genau dies wollte er, in diese Ecke wollte er uns, wollte er auch mich haben.
Ich wurde durch diese Erkenntnis nicht angstfrei oder gar sorglos, sah aber die Lage nicht mehr als unmittelbar bedrohlich für uns an. In dem Maße, wie die Ukraine auch erfolgreicher wurde, ging diese Angst zurück. Als die Lage sich stabilisierte, insbesondere für die Russen, gleichzeitig jedoch die Unterstützung durch den Westen und auch Deutschlands bedeutender wurde, ist mein Angstpegel – im Gegensatz zu vielen anderen, die von Eskalation sprachen – nicht gestiegen. Auch als immer offenbarer wurde, die Ukraine schaffe nicht den großen Durchbruch zum Asowsche Meer, blieb ich noch ruhig. Als jedoch die Zögerlichkeit des Westens immer deutlicher wurde, in Amerika aus innenpolitischen Gründen, in Deutschland aus welchen Gründen auch immer, andere Länder wieder andere Gründe fanden oder auch ohne Gründe weitere Unterstützung reduzierten, bis hin zu offensichtlich russlandfreundlichen Gründen, begann meine Angst wieder zu wachsen, die Angst, die Ukraine könne den Krieg verlieren, Russland könne diesen Krieg aussitzen. Ein Sieg Russlands, für etliche »Experten« von Anfang an klar, wird wahrscheinlicher und ist für mich eine Horrorvorstellung. Es ist mir ein Rätsel, warum manche meinen, dann hätten wir doch unsere Ruhe, mag doch die Ukraine damit klarkommen, warum wehren sich diese Idioten denn gegen diese russische Übermacht. Wer kann denn ernsthaft glauben, Putin wäre mit diesem Erfolg zufrieden? Lassen wir die Ukraine im Stich, so lassen wir uns im Stich.
Wir sind nicht kriegstüchtig!
Das erzählen wir Putin auch noch von morgens bis abends. Kann man denn ernsthaft annehmen, er würde nach einem Sieg jahrelang warten, bis wir endlich kriegstüchtig sind? Er wäre es sofort und doppelt, denn er hätte dann auch noch die kampferprobte, teilweise modern ausgerüstete ukrainische Armee zur Verfügung. Oder meint ihr, es fänden sich da nicht genug ukrainische Kommandeure, die ihre Soldaten umdirigieren würden mit den ihnen immer noch vertrauten sowjetischen Methoden. Es sei denn, die Russen wären so blöd wie die Amerikaner im Irak und lösen die Armee auf oder schicken sie in ihre Gulags. Natürlich ist auch dieses Szenario möglich und auch das Szenario eines jahrelangen Bürgerkriegs in der Ukraine, nachdem eine Vasallenregierung eingesetzt ist. Man möge für sich selbst herausfinden, welche Perspektiven wahrscheinlicher oder gar wünschenswerter sind.
Was macht mir zurzeit am meisten Angst? Überlegenheit der Russen? Eigentlich nicht. Wenn man bedenkt, mit wie wenig Mitteln, Leuten und – relativ gesehen – Verlusten die Ukraine diesem Gegner standhält, kann man nur noch Angst um jedes einzelne Menschenleben haben, aber nicht um die Ukraine, es sei denn, unsere Unterstützung bricht zusammen und die USA wird wieder zum Verräter ihrer eigenen Politik und zum Verräter an dem Volk, das sie unterstützten und zum Widerstand ermunterten, wie schon die Südvietnamesen, die Iraker und die Afghanen.
Auch wenn Europa seine Zurückhaltung aufgibt, was nicht zu erwarten ist, können wir Amerika nicht ersetzen, dennoch müssen wir es aus eigenem Interesse versuchen. Ich zitiere abschließend einen Satz von Thorsten Heinrich, den ich in dem Artikel »Putin, der Geostratege« kritisiert habe, aus seinem letzten Video: »Das Geld und der Stahl, das wir jetzt sparen, bezahlen wir später mit Blut.« Was kann ich da noch hinzufügen? Vielleicht das: Dieses Sparen steigert meine Angst ständig, denn Heinrichs »später« ist nicht sehr spät.
Was könnte wieder Optimismus oder Zuversicht hervorrufen? Die USA geben die Milliarden frei und der Westen liefert, liefert, liefert…
Aber reicht das?
Auf keinen Fall für einen optimistischen Schluss. Es wirkt wie Trotz. Nicht nur für mich, wohl auch für jeden etwaigen Leser. Im nächsten Artikel muss ich über Frieden nachdenken, über Krieg ist fast alles gesagt.